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Der schwarze Romantiker: Victor Hugo im Leopold Museum

17.11.2017 - 15.01.2018

Erste Präsentation des zeichnerischen Werks des berühmten französischen Schriftstellers in einem Wiener Museum

Wien (OTS) - Das Leopold Museum widmet dem bildnerischen Werk des herausragenden Schriftstellers Victor Hugo (Besançon 1802–1885 Paris) die erste umfassende Schau in Österreich. Protagonist der französischen Romantik und herausragender Homo Politicus, war Hugo eine wichtige Stimme im gesellschaftlichen Gefüge Frankreichs. Anfangs konservativer Royalist, später Republikaner, blieb er stets ein glühender Europäer und engagierter Gegner der Todesstrafe. Seine Opposition zum Regime des selbstproklamierten Kaisers Napoleon III. führte zu einem beinahe 20-jährigen Exilaufenthalt. Mit seiner Familie und seiner Geliebten und Muse Juliette Drouet lebte er ab 1851 auf den Kanalinseln Jersey und Guernsey. Nach seiner Rückkehr im Jahr 1870 wurde Victor Hugo von der Pariser Bevölkerung feierlich empfangen. Ab 1881, noch zu Lebzeiten des Schriftstellers, wurde sein Geburtstag als republikanisches Fest staatlich begangen.

Die von Leopold Museum-Direktor Hans-Peter Wipplinger initiierte Schau bietet die Gelegenheit, einem außergewöhnlichen Künstler zu begegnen, in dessen Welt sich Nostalgie und Fortschritt die Waage halten. Die exquisiten Leihgaben stammen aus der Bibliothèque nationale de France und den Maisons de Victor Hugo in Paris sowie aus Privatbesitz, unter anderem der Sammlung Klüser, München.

Hans-Peter Wipplinger: "Wir schätzen uns überaus glücklich, die erste monografische Ausstellung zu Victor Hugo in einem Wiener Museum mit etwa 60 herausragenden Exponaten ausstatten zu können. Zur Präsentation im neuen grafischen Kabinett des Leopold Museum gelangen versatile Menschendarstellungen, fantastische Metamorphosen von Bauten, seltene Spitzenabdrücke sowie eine ganze Bandbreite an Abstraktionsgraden im Werk des Ausnahmekünstlers."

Jahrhundertromane wie Der Glöckner von Notre Dame (1831) und Les Misérables (1862) fesseln bis heute eine weltweite Leserschaft, Verfilmungen und Musicals machten diese Werke einem breiten Publikum bekannt. Dass Victor Hugo, der sich selbst ausschließlich als Schriftsteller verstand, auch ein leidenschaftlicher Zeichner und Maler war, ist ein durchaus überraschender Aspekt seines Schaffens. Neben Aquarellen werden in der Schau auch ausgewählte Fotografien aus dem Nachlass Hugos gezeigt. Ergänzend sind Werke der französischen Schriftstellerin George Sand sowie des englischen Malers des Lichts William Turner zu sehen.

Ausstellungskurator Ivan Ristic: "Ließ William Turner in seiner Malerei die materielle Welt als Verdichtung der Lichtpartikel erscheinen, so führte Hugo manche seiner Malexperimente in fast völliger Dunkelheit durch." In seinem Roman Die Arbeiter des Meeres schildert Victor Hugo eindrücklich die Kraft der Dunkelheit: "Die nächtliche Dunkelheit ist schwindelerregend. Wer sich in sie vertieft, versinkt darin, zappelt darin. Keine Strapaze gleicht dieser Erforschung der Finsternis. Es ist das Studium einer Auslöschung."

Im Exil auf den Kanalinseln beschäftigte sich Victor Hugo vielseitig. Beeindruckende Felsformationen, atemberaubende Wetterstimmungen, die Tätigkeiten der Fischer oder die die Küste passierenden Boote inspirierten den Schriftsteller zu düsteren See- und Flusslandschaften. Auch und vor allem waren die 1850er-Jahre jene Periode, in welcher Hugo manche seiner zukunftsweisenden Experimente auf Papier durchführte. Kind seiner Zeit nahm Hugo an spiritistischen Séancen teil. 1855 und 1856 entstanden auf Guernsey die dentelles, jene mit Hilfe dekorativer Spitzenmuster gestalteten Drucke Victor Hugos. Es handelt sich um Abdrücke von fein geklöppelten, in Tinte getränkten Spitzen. Verbunden mit Klecksbildern werden die Spitzenmuster zu Himmelspartien, formen sich zu Buchstaben oder Gesichtern von Gespenstern (spectres). Wechselwirkungen mit dem jungen Medium Fotografie blieben nicht aus. Im eigens eingerichteten Atelier seines Hauses auf Jersey, wo er mit seinem Sohn Charles und dem Dichter und Fotografen Auguste Vacquerie arbeitete, entstanden rund 350 Abzüge. Im malerischen Werk Hugos erkennt man speziell in den Schablonenbildern fotografische Einflüsse. Die Monotypie erfuhr nicht zuletzt in Hugos malerischem Werk eine Renaissance; vielfach zeigen sich dabei in seinen Werken Ansätze der abstrakten Malerei.

Victor Hugo experimentierte leidenschaftlich mit verschiedensten Maltechniken: Mit Farbe klecksend, bisweilen unter Verwendung unkonventioneller Materialien wie etwa Staub entstanden, Bilder des Erahnten, der vagen Möglichkeiten, wie Hans-Peter Wipplinger erklärt: "In Sepia unter Anwendung unorthodoxer Kratz- und Wischverfahren klecksend, ließ Hugo nicht selten das Zufallsprinzip walten. Dieses trug dazu bei, dass man mit Fug und Recht behaupten könnte, ihm sei zusätzlich zur Suggestivität und Präzision seiner Texte gelungen, das Unendliche auch bildlich zu definieren."

Obwohl sich im Nachlass Victor Hugos mehr als 3500 Blätter befinden, trat er jedoch nicht als Künstler auf, nahm nicht an Ausstellungen teil und widmete sich nur am Rande der Kunstkritik. Häufig sind die Arbeiten des Schriftstellers von skurrilen Randexistenzen bevölkert. Die Muse der Moderne spüre, so Hugo, dass nicht alles im menschlichen Sinne schön sei; auch werde sie sich die Frage stellen, ob es dem Menschen zustehe, Gott zu korrigieren.

Victor Hugo 1802–1885 Hahnenkopf, 1850 Kohle, braune Tinte auf Papier, 15 x 34,5 cm Bibliotheque nationale de France, Paris | DER SCHWARZE ROMANTIKER: VICTOR HUGO IM LEOPOLD MUSEUM 2017
Victor Hugo 1802–1885 Hahnenkopf, 1850 Kohle, braune Tinte auf Papier, 15 x 34,5 cm Bibliotheque nationale de France, Paris
Fotocredit: Bibliotheque nationale de France, Paris; Ort: Wien

Bisweilen überrascht Victor Hugo in seinen Zeichnungen durch das Spiel mit Perspektiven, etwa wenn ein Fliegenpilz aus Untersicht sich in monumentaler Größe präsentiert oder ein krähender Hahnenkopf ins Bild drängt. Auch der Architektur galt das Interesse des zeichnenden und malenden Dichters. Mit märchenhaft-düsteren Darstellungen von Kathedralen und Schlössern beschwor Hugo die Geister einer Vergangenheit herauf, deren kostbare Relikte er gefährdet glaubte. Vielfach sind es mittelalterliche Gebäude, teils verfallend und oft in nächtliche Szenerien eingebettet, sowie Kirchen, Brücken und Fachwerkhäuser, die Hugo auf dem Papier festhielt und als Erinnerungen bezeichnete.

In seinem Roman Der Glöckner von Notre-Dame verweist Erzdechant Frollo auf die Gefahr, die der Bild gewordenen Architektur durch die Verbreitung des Buches droht. "Dieses wird jenes töten. Das Buch wird das Gebäude töten". Die "allgemeine Schrift, die Weltschrift aus Stein", werde von einer anderen, handlicheren und günstigeren verdrängt.

Kurator Ivan Ristic: "Ein Generationenkonflikt findet nicht nur zwischen Menschen statt, sondern auch zwischen den von ihnen erschaffenen Werkzeugen. Jedenfalls ist es nicht verwunderlich, dass sich 'Dieses wird jenes töten' heute als modischer Leitsatz diverser medientheoretischer Diskussionen einer breiten Popularität erfreut. Dass dabei gerade ein umgekehrter Prozess im Gange ist, nämlich jener, im Zuge dessen die Bilderflut das Textliche zu verdrängen droht, konnte der Autor des 19. Jahrhunderts freilich nicht ahnen."


Ausstellungseröffnung:

Zur feierlichen Eröffnung der Ausstellung am Donnerstagabend kamen die Leopold Museum-Vorstände Elisabeth Leopold und Agnes Husslein-Arco, die Sammler und Leihgeber der Ausstellung Verena und Bernd Klüser, Hugo-Katalogautor Raphael Rosenberg, Bruseum-Leiter und Kurator Roman Grabner, die kaufmännische Direktorin des Leopold Museum Gabriele Langer, Theatermacher Erwin Piplits (Odeon), Fritz Fischer, Sammlungsdirektor der Kunstkammer und Schatzkammer des Kunsthistorischen Museums, Sammlerin Waltraud Leopold, Galeristin Gabriele Wimmer (Galerie Ulysses), die KünstlerInnen Martha Jungwirth, Wolfgang Herzig, Marko Lulic, Constantin Luser, Werner Reiterer, Markus Schinwald, Walter Schmögner und Kai Walkowiak, die Klimt-Nachfahren Peter Zimpel und Gustav Huber, Christine Gironcoli, Michael Franz (BKA, Kunst- und Kultursektion), Grafikerin Nele Steinborn, AzW Geschäftsführerin Karin Lux, Collegium Hungaricum-Direktorin Mag. Mária Molnár, die Theatermuseum-KuratorInnen Daniela Franke, Angela Sixt und Kurt Ifkovits, Gabriele Mauthe, Leiterin des ÖNB-Archivs, ORF Kulturjournalistin Katja Gasser, Schiele Nachfahre und Unternehmer Markus Führer (Gablitzer Privatbrauerei), Dorotheum-Expertin Ursula Rohringer u.v.m.

Zur Ausstellung ist im Verlag der Buchhandlung Walther König ein umfangreicher 160 Seiten und ca. 100 Abbildungen umfassender Katalog in deutscher und englischer Sprache erschienen, erhältlich im Leopold Museum Shop zum Preis von Euro 24,90.

Kuratorenführungen zur Ausstellung mit Ivan Ristic:

Donnerstag, 23.11.2017
Donnerstag, 04.01.2018
Donnerstag, 21.12.2017
Donnerstag, 04.01.2018
jeweils um 18 Uhr


Fotogalerie


Im Bild 1 v.li.n.re: Hans-Peter Wipplinger, Direktor des Leopold Museum, Ivan Ristic, Ausstellungskurator, Verena und Bernd Klüser (Sammler und Leihgeber)

Credit: Leopold Museum im MQ/APA-Fotoservice/Tanzer
Fotograf: Richard Tanzer

 

Führung / Im Gespräch
"Doppelbegabungen: Fluch oder Segen?"
Rundgang durch die Ausstellung & Diskussionsrunde mit Ausstellungskurator Ivan Ristic und Kurator, Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Stefan Kutzenberger (Leopold Museum) Freitag, 17.11.2017, 16 Uhr
Im Rahmen der Vienna Art Week

Mit gültigem Museumsticket ist die Führung kostenlos.

 

17.11.2017


LINK
www.leopoldmuseum.org

 

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